Die Verfolgung
der ersten Christen

Die Katakomben II

 

 

 

Arbeit in den Katakomben (um 230 n.Chr.) - Erzählung

Wegen eines Eigentumsdelikts war er »ad metalla« verbannt worden, zu zehnjähriger Zwangsarbeit in den Erzgruben des Südens von Italien. Wider Erwarten war er noch am Leben, als die zehn Jahre herum waren, und so wurde er entlassen. Bettelnd zog er nordwärts und erreichte schließlich wieder Rom. Eine Familie oder Verwandte, die ihn erwarteten, hatte er nicht. Einen Freund hatte er gehabt. Der war damals an dem Diebstahl nicht ganz unschuldig gewesen. Er hatte jedoch seinen Namen auch bei der peinlichen Befragung nicht preisgegeben.

Er suchte ihn. Er fragte in den Vierteln der Armen. Er bekam endlich von einem Greis die Antwort: »Gehe die Appische Straße hinunter. Biege am dritten Meilenstein auf einem Pfad nach links ab!« Das tat er in der Frühe des nächsten Tages. Er fand den Pfad. Er fand in einer Senke ein steinernes Haus. Schwere Steine und Platten bildeten die Wände, Tonplatten das Dach. Zwei schwarze Ziegen, angepflockt, grasten davor. Aber in dem Haus war niemand. Die Bewohner waren wohl unterwegs oder bei der Arbeit.

Chäremon, so hieß der Entlassene, machte es sich im Schatten bequem. Für ihn war es ein Genuss, ungestört warten zu können - nach den zehn langen Jahren unter der Erde. Cerdo oder jemand aus seiner Familie würde schon kommen. Chäremon ahnte, dass der Gesuchte etwas mit den Friedhöfen zu tun hatte, die an dieser Stelle wie ganze Städte unter der Erde liegen sollten. Hatte er doch früher schon mitgeholfen, Grabnischen auszuhauen. Damals wurden die alten Gräber kaum noch von den Ansässigen benutzt. Man verbrannte die Toten. Nur Fremde, Angehörige anderer Religionen, bestatteten ihre Toten unter der Erde, und niemand verwehrte es ihnen. Auch die Juden taten es...

Chäremon erwachte, als ein Geräusch von Schritten an sein Ohr drang. Ein Mann kam auf ihn zu. Es war kein anderer als Cerdo, sein alter Freund. Der wurde vor freudiger Erregung erst blass, dann rot. »Das ist doch - «

»Ja, Cerdo, ich bin's - Chäremon!« »Bist du geflohen?«

»Nein, meine Zeit war um, da wurde ich entlassen.« »Oh, wie gut. Sei mir herzlich willkommen!« »Bin ich auch den anderen willkommen - deinen Leuten?« »Was für Leuten? Ich habe niemand. Hatte mal eine Frau, aber sie lief mir davon. Mit einem Grabhauer ist kein Staat zu machen.« Cerdo lächelte wehmütig.

»Grabhauer bist du?« »Ja, ich übernahm die Arbeit von dem alten Hyginus, dem ich früher oft half - und nun wohne ich hier, tritt ein!«

Chäremon befand sich zum ersten Male wieder unter einem dürftigen, aber gastlichen Dach. Cerdo ging die Ziegen melken. Dann setzte er seinem Besucher Milch mit Brot, Zwiebeln und Käse vor. »Da hast du es wohl ganz gut getroffen?« fragte Chäremon: »Es gibt immer noch manches Grab auszuhauen, wie?«

»Ich weiß vor Arbeit nicht wohin, mein Lieber«, sagte der Grabhauer. »Wer gibt dir denn die vielen Aufträge?«

»Dir kann ich es sagen - viele Christen bestatten jetzt ihre Toten hier. Rede aber nicht darüber!«

»Bist du - Christ?« - Chäremon schaute sein Gegenüber gespannt an. Cerdo nickte.

»Und du - bist du es vielleicht auch?« fragte er zurück. »Die Christen haben mir im Bergwerk wie Brüder geholfen; ich gehöre zu ihnen.«

»Das höre ich gern.« Cerdo rieb sich die Hände, ihm schien ein guter Gedanke zu kommen.

»Iß und trink, Bruder Chäremon«, sagte er, »es ist einfache Kost, aber mancher wäre glücklich, wenn er sie hätte. Sie ist dir von Herzen gegönnt. Ich muss dir dankbar sein - ich habe das von damals nicht vergessen. Aber ich habe es auch nie wieder getan - es lohnt nicht - und es ist gegen das Gebot.«

»Nein, es lohnt sich wirklich nicht«, erwiderte Chäremon, »die Bergwerke sind furchtbar. Es sind sehr viele Christen dort - auf Lebenszeit. Meist einfache Leute, kleine Krämer, Hausierer, Handwerker und so weiter - nur, weil sie bei ihrem Glauben blieben. Die einfachen Leute steckt man in die Bergwerke.«

Als sie ihr Mahl beendet hatten, sagte Cerdo unvermittelt: »Chäremon, ich will dir etwas zeigen - oder bist du zu müde?« »Ich habe ausgiebig geschlafen, bis du kamst. Was willst du mir denn zeigen?«

»Warte nur ab!«

Cerdo machte sich an zwei Öllampen aus Ton zu schaffen. Er brannte die Dochte mit Glut an, die sich tief unter der Asche der Feuerstelle befand. Dann klemmte er sich eine Pechfackel unter den Arm. »Komm!« sagte er.

Draußen war Dämmerung. Sie schritten einen ausgetretenen Pfad entlang, der sich um Gestrüpp und Gestein wand. Dann standen sie vor einem gemauerten Eingang, aus dem kühle Luft herausströmte. »Du scheust dich gewiss nicht, mit mir ins Innere der Erde zu steigen«, sagte Cerdo.

Es ging einige Stufen in die Tiefe, dann geradeaus, einen langen Gang entlang. Im spärlichen Lichtschein der Öllampen sah Chäremon hohe Wände mit hellen Tonplatten. Er wusste: dies waren die Grabkammern, zumeist alte. Manchen fehlte auch die Tonplatte, sie gähnten hohl und schwarz. Hier waren vor langer Zeit Grabräuber am Werk gewesen. Sie wanderten lange. Zuweilen mussten sie sich bücken. Dann konnten sie wieder aufrecht gehen; die Stollendecke war bis zu drei Manneslängen hoch über ihnen. Und überall Grabkammern, meist Tonplatten, gelegentlich auch schön gemeißelte Marmorplatten als Vorderteile von Sarkophagen davor.

Dies war Cerdos, des Grabhauers, Arbeitsreich. Mit seinen gehärteten Eisengeräten schnitt und schlug er an bestimmten Stellen Nischen in das weiche Gestein. Die Verstorbenen wurden, in Linnen gehüllt, dort hineingelegt. Oft setzte man Tongefäße mit wohlriechenden Flüssigkeiten dazu. Cerdo kittete dann die Platte davor ein, so gut und so fest wie möglich. »Hier arbeite ich jetzt«, sagte er in einem hohen Gang, wo eine grobe hölzerne Leiter lehnte. »Ich schlage eine Nische für eine ganze Familie, eine gewölbte Nische, die natürlich teurer ist als eine gewöhnliche. Noch zwei, drei Tage, dann bin ich fertig.«

»Du hast wenigstens keinen Aufseher hinter dir, der dich mit der Peitsche schlägt, wenn es ihm nicht schnell genug geht«, sagte Chäremon. »Nein! Das hätte auch noch gefehlt! Hier bin ich mein freier Herr!« »Wird die Arbeit gut bezahlt?«

»Von denen, die Geld haben, nicht schlecht. Aber wir haben auch viele Arme. Doch das Gewebe nährt seinen Mann - es würde auch ihrer zwei nähren«, fügte er schnell hinzu. »Ach, da wolltest du mich wohl fragen, ob - «

»Ja, das wollte ich«, entgegnete Cerdo schnell: »Chäremon, du brauchst doch eine Arbeit. Und du kannst doch sicher nichts Besseres, als Stollen aushauen, wie?«

»Das ist wahr! Und natürlich sage ich ja, Cerdo - mit Freuden! Gleich morgen kann ich anfangen.«

»Es arbeitet sich besser zu zweit, also abgemacht. Den Lohn teilen wir, und du kannst bei mir wohnen. Aber was ich dir zeigen wollte, kommt noch.«

Sie gingen weiter: Stollen und Gänge, wie zuvor. Hinauf und hinunter. Mit ihnen wanderten ihre großen Schatten.

Da endete ein Stollen - das Licht der Öllampen vermochte die Wände nicht zu erhellen. Cerdo nahm seine Pechfackel und brannte sie an seiner Öllampe an. Knisternd entflammte das Pech. Es verbreitete einen sehr hellen Schein.

»Oh!« entfuhr es dem staunenden Chäremon. Was ersah, glich fast einem Tempel. Von hellen Wänden leuchteten ihm Farben entgegen. Er sah Gestalten. Männer und Frauen waren da an die Wände gemalt, in schönen Gewändern: braun, rot, gelb und blau. Sie hielten die Hände betend in die Höhe gestreckt und schauten ihn mit friedlichen und freundlichen Gesichtern an. Daneben sah er bunte Pfauen. Tauben saßen auf dem Rande wassergefüllter Amphoren und tranken, andere flogen hinzu. Blumen und blühende Zweige umgaben das Ganze. Ein ganzer bunter Garten war auf die Wände gemalt, in denen sich Grabnischen befanden. Fische und geheimnisvolle Schriftzeichen hier und da. Chäremon, der des Lesens unkundig war, fragte Cerdo, ob er die Schrift deuten könne. Cerdo konnte es: »Hier steht, ‚Acardia in pace’ - das heißt, ‚Acardia in Frieden’. Es sind die Namen derer, die in den Grabnischen bestattet sind. Dort steht ‚Eliodora in pace’ und dort ‚Dionysos in pace’!« Cerdo weidete sich an dem Staunen seines Freundes: »Nicht nur wir Grabhauer haben hier zu tun«, sagte er, »es kommen auch Maler herunter, wie du siehst.« »Das kostet sicher sehr viel?« meinte Chäremon.

»Bestimmt! Aber es gibt auch Christen, die machen das, ohne Lohn dafür zu nehmen. Diese Gruft zum Beispiel dient noch einem anderen Zweck. Wenn sie uns draußen verfolgen, halten wir hier unsere Versammlungen ab. Man weiß das wohl. Aber die Grüfte sind von je Stätten des Friedens gewesen; die Miliz steigt nicht in diese Labyrinthe herunter.« Cerdo hatte seinem Freunde noch vieles zu erklären, als sie sich auf dem Rückweg befanden und durch einen anderen Stollen gingen. Überall Fische! Der Fisch sei ein heiliges Zeichen, sagte Cerdo. Wenn man die Anfangsbuchstaben des Satzes »Jesus Christus, Gottes Sohn, der Erlöser« in griechischer Sprache zusammenstelle, werde daraus I-CH-TH-Y-S, das aber heiße »Fisch«. Und jenes Bild des Mannes mit dem Lamm auf den Schultern stelle Jesus dar als guten Hirten. Der Mann im Fischrachen aber sei der Prophet Jona. Und der inmitten der Löwen sei der Prophet Daniel. Immer wieder sahen sie Pfauen, Tauben und Fische. Und ein X, durch das ein P gezeichnet war, das Namenszeichen Christi.

Am nächsten Morgen meißelten und schnitten in der Tiefe zwei Männer. Sie unterhielten sich, wie sich Arbeitsleute bei der Arbeit unterhalten. Chäremon hatte nach langen, bösen Erfahrungen ein gutes Auskommen gefunden, und Cerdo einen Gefährten, wie man ihn bei der Arbeit in der dunklen Tiefe braucht.

aus: Alfred Otto SCHWEDE, Der Tod des Jakobus, in: Erzählbuch zur Kirchengeschichte, Bd. 1, Von den Anfängen bis zum Spätmittelalter, hg. von Dietrich STEINWEDE, 1982, S. 99-104

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