Die Verfolgung
der ersten Christen

Verfolgung unter Nero

 

 

 

Rom brennt - Verfolgung unter Nero (64 n. Chr.)

Der Freigelassene Tiburtius öffnete seine Hand weit und presste sie dann schnell und kräftig zusammen.

Tigellinus, Präfekt von Rom, Vertrauter des Kaisers Nero, trocknete sich den Schweiß von der Stirn.

»Und wo soll die Versammlung stattfinden?« erkundigte er sich. »In deinen Gärten, Erlauchter. Ich habe erfahren, dass alle deine Wächter bereits Christen sind.«

Der Präfekt dachte nach. Was für eine merkwürdige hartnäckige Sekte war das doch, die sich in seine Besitzungen einschlich und - während er plante, sie allesamt auszurotten - ihm sogar die eigenen Leute abspenstig machte! Aber jetzt sollte endgültig Schluss damit sein! Seneca würde sich kaum für sie einsetzen, denn im Grunde hielt er sie auch für Wahnsinnige. Und die Juden würden ihm nur dankbar sein, wenn er mit ihnen kurzen Prozess machte.

Plötzlich schoss ihm ein Gedanke durch den Kopf. Man konnte zwei Dinge miteinander verbinden: Er nickte dem Freigelassenen fast übermütig zu. »Höre gut zu, Tiburtius,« sagte er. »Der stinkende Marktplatz um das Amphitheater herum verpestet schon seit langem die Luft in den Emilianischen Gärten und den Gärten des Kaisers. Außerdem erschwert er dem Kaiser den geplanten Bau eines neuen Palastes. Nun wissen wir ja, dass es der Kaiser nicht liebt, dem Volke zu nahe zu treten. Wenn du also die Angelegenheit mit den Christen in die Hand nimmst, dann verbrenne bei dieser Gelegenheit auch die elenden Buden. Es wird uns nicht schwer fallen, durch ein geschickt verbreitetes Gerücht nachträglich die ganze Sache den Christen in die Schuhe zu schieben und alles auf sie abzuwälzen. Dann haben wir auch nach außen hin den denkbar besten Grund, sie allesamt gefangen zu setzen und ihnen den Prozess zu machen. Geh los und sieh zu, dass du den ganzen Garten dabei beleuchtest! Der Kaiser soll zufrieden sein.«

II

Kaiser Nero 54 - 68 nCDie Stadt brannte wie ein ausgedorrter Wald, den ein Funke trifft und in ein Flammenmeer verwandelt.

Das Brausen des Feuers übertönte alle anderen Laute. Blitzschnell überzog der Brand ganze Gassenviertel und sprang gierig auf neue über. Zuerst fraß sich das Feuer zum Palatin und zum Capitol durch. Das hölzerne Amphitheater brannte wie eine Riesenfackel und stürzte dann berstend und krachend auf die Vivaria, die mit angstvoll tobenden Tieren vollgepfercht waren. Im Nu standen die für den neuen Bau bereitliegenden Holzstapel in Flammen.

Während durch nichts aufgehalten eine Feuersäule zum Forum Cäsarum et Augusti vordrang, schob sich eine andere auf den Palatinshügel zu, schluckte den Apollotempel und warf sich auf den Palast des Augustus. Niemand wusste in diesem Chaos, wo und was man retten sollte. Von panischer Angst getrieben, wandte sich alles zur Flucht, statt irgendwo einen Versuch zu machen, den Brand einzudämmen. In unentwirrbarem Knäuel wälzten sich kreischende Frauen, weinende Kinder und brüllende Männer durch die engen Gassen, rücksichtslos nach allen Seiten schlagend, stoßend und tretend. Wo einer stürzte, fielen andere über ihn und wurden von den Nachfolgenden niedergetreten. Wagen und Karren, die den Weg versperrten, wurden umgeworfen und vermehrten das Durcheinander. Maultiere und Pferde, von der gleichen Angst gepeinigt, flohen mit den Menschen und schleppten, wütend um sich beißend, ihre Wagen mit sich, bis sie sich vom Geschirr befreit hatten. Ein Kampf aller gegen alle war im Gange. Riesenhafte Gladiatoren und kräftige Sänftenträger bahnten sich mit ihren Fäusten den Weg. Immer wieder überholte das Feuer die Fliehenden und schnitt ihnen den Fluchtweg ab. Wenn sich dann die Vordersten zur Umkehr wandten, wurden sie von den Nachdrängenden erbarmungslos in die Flammen getrieben. Wer sich auf das Marsfeld, zu den Sallustianischen Gärten auf dem Pincius und über die Porta Collina auf die Via Salaria retten konnte, war am ehesten außer Gefahr. Aber die größte Menschenmenge trieb in ihrer namenlosen Angst blindlings zum Tiber. Auf dem Forum Boarium und dem Oliphorium ballten sich die Massen zu riesigen Knäueln. Die Flüchtenden drückten die Kramläden ein, die sich hier befanden, und wälzten sich weiter, über die Ruinen des Marktplatzes hinweg, den Tiberbrücken zu.

Wie die Wilden kämpften sie hier um den Übergang, und die Schwächeren wurden rücksichtslos und ohne Erbarmen hinunter gestoßen. Schon beim ersten Ansturm der Vorwärtsdrängenden zerbarsten die Geländer und ließen die Menschentrauben zusammen mit den Balkentrümmern in die Fluten stürzen. Viele ertranken in den rötlich schimmernden Wogen, weil nicht einmal Raum genug zum Schwimmen war. Immer neue Menschenmassen strömten über die Brücken, und plötzlich gab die erste Brücke unter der Last der vorwärts stampfenden Massen nach, neigte sich gefährlich und krachte schließlich zusammen. Dann hatte die Feuerwand das Flussufer erreicht, und während der Kampf um die übrigen Brückenzugänge weitertobte, sprangen die ersten Feuerzungen über den Fluss und erfassten die am jenseitigen Ufer stehenden Häuser.

III

Lange Zeit blieben die Christen verzückt in der Tiefe der Emilianischen Gärten im Gebet, doch allmählich schlich sich in ihren Lobgesang eine geheime Unruhe, zumal die Ausschau nach dem herannahenden Richter am blutroten Himmel - Petrus hatte ihn verkündigt - immer vergeblicher schien. Auf einmal erwachte auch unter ihnen die Sorge um das Schicksal der in der Stadt zurückgebliebenen Angehörigen. Hier und dort trat jemand aus dem Kreise der Versammelten heraus. Die Hitze der rasenden Feuersbrunst war bereits bis hierher zu spüren. Ein heftiger Windstoß brachte mit dem Tosen des Brandes und dem Todesschrei Zehntausender Funkengarben und Aschenregen. Jählings brach der Gesang ab. Plötzlich ertönten Rufe: »Petrus! Petrus! Der Herr kommt nicht!« »Petrus! Was bedeutet das alles?« »Petrus, wir haben Angst!« »Petrus, das ist bestimmt nicht das Nahen des Herrn!«

Immer lauter, immer verzweifelter erklangen die Rufe. Die brennende Stadt tauchte hinter einer flimmernden Feuerwand unter. Schwerer, stickiger Rauch zog in dichten Schwaden herüber, reizte die Kehlen und umdüsterte die Gedanken. Hunderte von Händen streckten sich dem Apostel entgegen.

»Petrus! Petrus!« wurde jetzt von allen Seiten gerufen. »Was geschieht uns?« […]

Niemand hatte bemerkt, dass Soldaten einer Kohorte herangekommen waren. Im Nu war die ganze Schar der Christen umzingelt. Befriedigt sah Tiburtius zu, wie sie alle als Gefangene abgeführt wurden.

IV

Am nächsten Morgen erschien Tiburtius mit mehreren Prätorianern im Gefängnis. Das abstoßende Gesicht des Freigelassenen mit dem Brandmal auf der Stirn verzog sich, als er die stickige Luft atmen musste, die im Verlies herrschte. In wortloser Neugier schweifte sein Blick über die armseligen Gefangenen. Dann rief er: »Na, ihr Christen! Kommt näher! «Sie standen von der Erde auf und traten langsam heran. Tiburtius musterte sie höhnisch und sah dann von einem zum andern, als suche er etwas in ihren Gesichtern. Dann zuckte er geringschätzig die Schultern und nahm einem Sklaven, der neben ihm stand, ein Papyrusblatt aus der Hand.

» Hört genau zu, was ich euch jetzt vorlese!« sagte er und begann: » Lucius Domitian Ahenobarbus Nero Claudius Drusus Cäsar Germanicus an das Römische Volk: Ich habe feststellen lassen, dass die verabscheuungswürdige Sekte der Christen Rom in Brand gesteckt hat. Dieses gemeine Verbrechen ist durch unseren Präfekten einwandfrei aufgedeckt worden. Ich habe daraufhin Anweisung gegeben, die Christen aufzugreifen und gefangen zu setzen. Das ist geschehen. Alle, die über die Christen und ihr verräterisches Treiben etwas wissen, werden hiermit aufgefordert, es zu melden. Die schändlichen Verbrecher werden aufs strengste bestraft werden. Ihr werdet sie in der Arena wieder sehen, sobald das Amphitheater wieder aufgebaut ist. Zusammen mit ihm wird unsere schöne Stadt gewaltiger wiedererstehen als je zuvor. Wer beim Aufbau Roms mithilft, hat eine besondere Belohnung zu gewärtigen. Den Trümmerschutt nehmen inzwischen alle nach Ostia auslaufenden Schiffe mit, damit die dortigen Sümpfe zugeschüttet werden können. Für Lebensmittel ist genügend gesorgt. Kein römischer Bürger soll Hunger leiden ...«

Tiburtius unterbrach sein Vorlesen. Er gab dem Sklaven das Papyrusblatt zurück und blickte sich wieder im Kreise um. »Ihr seid die Brandstifter!« schrie er und bemerkte mit Genugtuung, wie die Gesichter der Gefangenen bei seinen Worten zusammenzuckten. » Hört ihr's?« fuhr er, noch lauter brüllend, fort. »Ihr seid die Brandstifter, und ihr werdet eurer Strafe nicht entrinnen. Ihr und alle andern Christen, die noch nicht gefasst sind, werdet eines elenden, qualvollen Todes sterben. Dafür, dass ihr freventlich die Stadt angesteckt habt, sollt ihr selbst angesteckt werden und in Flammen aufgehen! Ihr seid verurteilt, als lebende Fackeln im Garten des Kaisers zu brennen. Versteht ihr das ? Ihr werdet an einen Pfahl gebunden und mit Teer übergössen, dann kommt ein Sklave und zündet euch an und siehe da: es gibt keine Christen mehr!«

Wie ein Raubtier schritt er durch die Reihen der Gefangenen. In seinen Augen funkelte Mordgier: »Wer ist Petrus, der Galiläer?« fragte er. Eine heftige Bewegung ging durch die Reihen, wie um den Apostel zu schützen. Dieser jedoch schob alle beiseite und trat vor seine Gefährten. Und obwohl die Angst sein Herz erstarren ließ, leuchtete doch auf seinem offenem Gesicht freudiger Friede. Mit gefasster Stimme sagte er: »Ich bin es.« […]

Tiburtius trat noch einen Schritt näher an ihn heran. Der Ausdruck blutgieriger Freude entstellte sein Gesicht vollends. »Aah so«, sagte er gedehnt, »dafür wirst du auch die schrecklichste Strafe erleiden.« Er machte eine Pause, um sich länger an der Furcht des Gefangenen zu weiden. Dann fuhr er auftrumpfend fort: »Du sollst gekreuzigt werden!«

aus: Jan DOBRACYNSKI, Rom brennt - Verfolgung unter Nero, in: Alfred Otto SCHWEDE, Der Tod des Jakobus, in: Erzählbuch zur Kirchengeschichte, Bd. 1, Von den Anfängen bis zum Spätmittelalter, hg. von Dietrich STEINWEDE, 1982, S. 54-63

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